Es ist immer dasselbe, in jedem Hotel, in jeder Stadt, in fast allen Ländern. Wo Dave Gahan eincheckt, da stehen in der Lobby garantiert schon ein paar Schwarzbekleidete herum mit Frisuren, in denen noch Haarspray aus den 80er Jahren klebt. Gahan hat das nicht verdient. Er ist längst woanders, er ist — spät, aber endlich doch — erwachsen geworden, und vom Düster-Look, mit dem Depeche Mode eine Zeitlang flirteten, hat er schon vor vielen Jahren Abschied genommen. Er trägt zwar ein schwarzes Shirt (natürlich eng) und eine schwarze Hose (noch enger), aber — als wollte er sich über die alten Fans lustig machen — hellblaue Socken und weiße Slipper. Er ist gut gelaunt und viel entspannter, als man ihn von Band-Interviews kennt. Sobald er das Hamburger Hotelzimmer betritt, bietet er auch schon Getränke an — was den Promoter zu der Vemutung führt, Gahan müsse in einem früheren Leben Kellner gewesen sein. Der lacht vergnügt und holt sich noch einen Kaffee. Ein erstes Resüme: "Ich habe was zu rauchen und was zu trinken, mir geht es gut." Zigarillos sind heutzutage praktisch sein einziges Laster.
Das Selbstvertrauen, das Gahan ausstrahlt, hat er sich hart erarbeitet. Zum ersten Mal in seinem Leben, und er ist inzswischen 41, spricht er nicht "nur" als Sänger, sondern als Songschreiber. Nach 22 Jahren bei Depeche Mode erscheint nun sein Solo-Debüt: "Paper Monsters." Man fragt sich natürlich, warum der Mann, der immer die Lieder seines Kollegen Martin Gore interpretierte, erst jetzt damit rausrückt, dass er auch eigene Ideen hat. Gahan lächelt verständnisvoll. "Alle wollen wissen, warum gerade jetzt, aber es gibt keine offensichtliche Antwort, leider. Das Timing stimmte einfach. Ich habe jahrelang darüber nachgedacht, ich wollte schon mit verschiedenen Leuten arbeiten, aber irgendwann habe ich die Hoffnung aufgegeben, dass der perfekte Zeitpunkt kommen wird."
Image caption: Im Studio: Gahan hat keine Angst vorm Alleinesein
Stattdessen kam immer wieder ein Depeche Mode-Album oder eine Tour. Bis Gahan selbst die Initiative ergriff und sich eine Band-Pause verordnete. "Ich wollte mich selbst einmal in eine Situation bringen, die ich noch nicht kenne, statt ständig so zu arbeiten, wie ich es schon lange gewöhnt bin. Bei Depeche Mode wusste ich immer, in welche Richtung es gehen wird. Es kam mir natürlich und logisch vor, nach der 'Exciter'-Tour zu sagen: Okay, ich habe Zeit, ich kann mich völlig dieser Sache widmen, es gibt keine Entschuldigung mehr."
Und doch war es noch ein weiter Weg. Bis heute fuhlt sich Gahan als Songwriter unsicher, und er antwortet sehr vorsichtig, wenn es darum geht, sich gegen Gore abzugrenzen. Zuletzt lief ja alles so gut bei Depeche Mode, viel besser als früher — und diese Harmonie will Gahan wohl nicht ganz aufs Spiel setzen. Wir erinnern uns: Als 2001 das letzte Depeche-Album "Exciter" erschien, erklärte Gore wieder einmal, dass es weder ihn noch Gahan störe, dass einer die Texte schreibt und der andere sie singt: "Alle anderen machen sich wahnsinnig viele Gedanken darüber, aber für uns ist es normal. So arbeiten wir eben." Bei Dave hört sich das ein bisschen anders an.
Hast du schon früher Songs und Texte geschrieben?
Ja, oh ja!
Aber war es dann nicht etwas seltsam, immer nur Martins Lieder zu singen?
Ja, manchmal war es schon frustrierend. Aber ernsthaft eigentlich erst seit — hm — ungefähr irgendwann zwischen "Ultra" und "Exciter".
Warum dann? Wurde dir langweilig oder war es nur zu eingefahren?
(Seufzt.) Ja. Beides. Ich war nicht wirklich gelangweilt, aber ich wollte etwas Neues machen, meine Grenzen verschieben — das, was ich kann, ausreizen und darüberhinaus das Unbekannte kennen lernen. Dieses Bedürfnis wurde immer großer. Mir war irgendwann klar, dass ich dieses Monster besiegen muss, diese Ungewissheit, dass ich mehr machen und Neuland betreten muss, auch wenn das heißt, dass ich irgendwie an dem Monster vorbei muss.
Image caption: Unterstützung: Mute-Chef Daniel Miller, Songwriting-Partner Knox Chandler (v.l.)
Hattest du Angst davor, bei deinem Neuanfang als Songschreiber mit Martin verglichen zu werden?
Du meinst, mit dem alten Hasen? (Lacht.) Das Einzige, was mir Angst gemacht hat, war die Vorstellung, es nicht zu tun. Ich wäre bei Depeche Mode frustrierter und frustrierter geworden. Innerhalb der Band konnte ich das einfach nicht machen, wenn ich ehrlich bin. Ich hätte meine Ideen nicht so einbringen können, wie ich wollte.
Image caption: Depeche Mode im Wandel der Zeiten: als Popper 1982 (v.l.: Gahan, Martin Gore, Alan Wilder, Andrew Fletcher), mehr Rock'n'Roll 1994...
Dabei hat er sich redlich bemüht. Bei den Aufnahmen zu "Exciter" machte er hier und da Vorschläge, interpretierte einiges um — aber nicht genug, fand er. Und da Gore vorerst nicht bereit war, die übliche Arbeitsweise — er bringt die Songs, Gahan widerspricht nicht — zu ändern, suchte Gahan sein Glück im Alleingang. Nach 22 Jahren keine leichte Entscheidung — wenn man als Sänger und Performer berühmt ist, aber als Songschreiber noch ein Niemand. "Auf der Buhne habe ich mich immer sicher gefühlt, da steuere ich etwas bei zu der Atmosphäre, aber im Studio war es dauernd ein Kampf für mich. Bei "Exciter" hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, dass ich etwas Eigenes beitrage, mehr Freiheit hatte, meine eigene Seele reinlegen konnte — und ich musste mir nicht zu viele Sorgen machen, was Martin wohl davon hielt. Aber ich kann das nicht ablegen. (lacht, ein bisschen verzneifelt) Ich überlege immer, was Martin wohl davon hält." Und, was hält er nun davon, mag er "Paper Monsters"? "Ich weiß es nicht." Und dann lenkt er ganz schnell von der offensichtlich fehlenden Kommunikation mit dem einen Kollegen ab und leitet recht geschickt zu dem anderen über: "Jedenfalls war Fletch sehr, sehr ermutigend. Ich habe ihn im Januar in London getroffen, als ich das Album gemixt habe. Ich lud ihn ein, und er hörte sich die sechs Songs an, an denen wir gerade arbeiteten. And he was really blown away."
Er sagt das erfreut — und verwundert. Die Beziehung zwischen Gahan und Keyboarder Andrew Fletcher war schon immer ein bisschen kompliziert. Früher, munkelt man, konnten sie sich nicht ausstehen, nicht einmal zusammen in einer Limousine sitzen. Fletch, mit seiner nüchternen Art eher der Buchhalter-Typ, hatte wenig Verständnis für Gahans Ausfälle, und erst nachdem der vor sieben Jahren seine Heroinsucht besiegt hatte, freundeten sie sich langsam wieder an. Heute ist Gahan froh, dass es nicht mehr dauernd "zwei gegen einen" steht: "Es war gut, dass Fletch mich so unterstützt hat. Denn ich hatte früher immer das Gefühl, dass er irgendwie Martin und mich gegeneinander ausspielt. Dass er eine gewisse Distanz zwischen uns schafft und Martin einredet, er solle mir nicht so viel Kontrolle geben. Vielleicht ist das völliger Blödsinn, aber so kam es mir vor. Deshalb habe ich mich noch mehr angestrengt."
English translation provided by Google Translate. Additional minor cleanup by me, with my notes in purple. I am not a German speaker, so if you find errors in this translation, please let me know. Note that this section is still a work in progress!
It's always the same, in every hotel, in every city, in almost every country. Wherever Dave Gahan checks in, there's bound to be a couple of black-clad people in the lobby with hairstyles still covered in '80s hairspray. Gahan didn't deserve this. He's been somewhere else for a long time, he's grown up — late, but finally — and many years ago he said goodbye to the dark look that Depeche Mode flirted with for a while. He's wearing a black shirt (tight, of course) and black pants (even tighter), but — as if to poke fun at the old fans — light blue socks and white loafers. He is in a good mood and much more relaxed than we know him from band interviews. As soon as he enters the Hamburg hotel room, he offers drinks — which leads the promoter to believe that Gahan must have been a waiter in a previous life. He laughs happily and gets himself another coffee. A first summary: "I have something to smoke and something to drink, I'm fine." Cigarillos are practically his only vice these days.
He has worked hard to gain the confidence that Gahan exudes. For the first time in his life, and he is now 41, he speaks not "just" as a singer, but as a songwriter. After 22 years with Depeche Mode, his solo debut is now out: "Paper Monsters." One wonders, of course, why the man who always interpreted the songs of his colleague Martin Gore is only now revealing that he also has his own ideas. Gahan smiles understandingly. "Everyone wants to know why right now, but there's no obvious answer, unfortunately. The timing was just right. I've thought about it for years, I've wanted to work with different people, but at some point I gave up hope that the perfect timing would come."
Image caption: In the studio: Gahan isn't afraid of being alone
Instead, a Depeche Mode album or tour kept coming. It wasn't until Gahan himself took the initiative and ordered a break from the band. "I wanted to put myself in a situation that I don't know yet, instead of working all the time like I've been used to for a long time. In Depeche Mode, I always knew in which direction it was going. It came naturally to me and logical to say after the 'Exciter' tour: Okay, I have time, I can devote myself fully to this, there are no more excuses."
And yet there was still a long way to go. To this day, Gahan feels insecure as a songwriter, and he responds very cautiously when it comes to distancing himself from Gore. Things have been going so well in Depeche Mode lately, much better than before — and Gahan doesn't want to jeopardize this harmony entirely. We remember: When the last Depeche album "Exciter" was released in 2001, Gore once again explained that it bothers neither him nor Gahan that one writes the lyrics and the other sings them: "Everyone else is very concerned about it but for us it's normal. That's the way we work." With Dave it sounds a bit different.
Have you written songs and lyrics before?
Yeah, oh yeah!
But then wasn't it a bit strange to only ever sing Martin's songs?
Yes, sometimes it was frustrating. But seriously actually only since — hm — somewhere between "Ultra" and "Exciter".
Why then? Did you get bored or was it just too ingrained?
(Sighs) Yes. Both. I wasn't really bored, but I wanted to do something new, push my limits — push to what I can and beyond that, explore the unknown. This need kept growing. At some point it became clear to me that I had to defeat this monster, this uncertainty, that I had to do more and break new ground, even if that meant somehow getting past the monster.
Image caption: Support: Mute boss Daniel Miller, songwriting partner Knox Chandler (from left)
Were you afraid of being compared to Martin when you started out as a songwriter?
You mean with the old hand? (laughs) The only thing that scared me was the idea of not doing it. I would have gotten more and more frustrated in Depeche Mode. I just couldn't do that within the band, to be honest. I couldn't have contributed my ideas the way I wanted to.
Image caption: Depeche Mode through the ages: as a popper in 1982 (from left: Gahan, Martin Gore, Alan Wilder, Andrew Fletcher), more rock'n'roll in 1994...
In doing so, he made a real effort. During the recording of "Exciter" he made suggestions here and there, reinterpreted some things — but not enough, he found. And since Gore wasn't ready to change the usual way of working — he brings the songs, Gahan doesn't contradict — Gahan went it alone. Not an easy decision after 22 years — when you're a famous singer and performer, but still a nobody as a songwriter. "On stage I've always felt safe, that's where I add something to the atmosphere, but in the studio it was always a struggle for me. With 'Exciter' for the first time I felt like I was contributing something of my own, had more freedom, could put my own soul in it — and I didn't have to worry too much about what Martin would think of it. But I can't put it down. (laughs, a bit despondent) I always wonder what Martin thinks about it." And what does he think of it now, does he like "Paper Monsters"? "I dont know." And then he quickly distracts from the apparent lack of communication with one colleague and leads quite cleverly to the other: "Anyway, Fletch was very, very encouraging. I met him in London in January when I was mixing the album. I invited him over and he listened to the six songs we were working on. And he was really blown away."
He says that with pleasure — and astonishment. Gahan's relationship with keyboardist Andrew Fletcher has always been a bit complicated. Rumor has it that they used to hate each other, not even sitting in a limousine together. Fletch, more of the accountant type with his down-to-earth manner, had little sympathy for Gahan's failures, and it was only after he had overcome his heroin addiction seven years ago that they slowly became friends again. Today, Gahan is happy that it's no longer "two against one": "It was good that Fletch supported me so much, because I used to have the feeling that he was somehow playing Martin and me off against each other. That he creates a certain distance between us and tells Martin not to give me so much control. Maybe that's utter nonsense, but that's how it felt to me. That's why I tried even harder."